Fischtank

Fünf mal sieben mal drei. Ein Glasquader, grossflächige weisse Bodenfliesen, die Küchengeräte funkelten, Pfannen und Töpfe standen in polierten Edelstahlregalen. Frisches Obst und Gemüse war wie willkürlich im Raum verteilt, dreistöckige Torten, Hummer und Fleisch. Die Luft darin war zäh, trotz des Entlüftungssystems.

Sein Agent hatte ihm die Stelle vermittelt. „Diesmal kein Fotojob. Einfacher. Und besser bezahlt.“ Das Vorstellungsgespräch verlief komplikationslos. Ein neues Restaurant, kühl, cool, im Zentrum des loftähnlichen Speisesaales die Küche, die keine war, sein Platz an vier Abenden die Woche. „Schöne Menschen ziehen andere schöne Menschen an“, sagte der junge Geschäftsführer verträumt, „und genau die wollen wir hier haben.“ Die „Drecksarbeit“, wie man sich ausdrückte, fand einen Stock tiefer statt. Hier wurde gekocht. Geschwitzt.

An seinem ersten Tag wurde er nach unten geführt. Ein rotgesichtiger Koch nahm ihn in Empfang. „Ich bin der Albert. Ich zeige dir ein paar Handgriffe, damit du nicht ganz unglaubwürdig wirkst.“ Er lernte, wie man ein Messer hält, mit routinierten Bewegungen in einer Schüssel rührt, Zwiebeln klein schneidet, eine Pfanne schüttelt. „Nicht so verkrampft“, lachte Albert. „Is ja nicht so, dass dir was anbrennt.“  Nie zuvor war er in einer Restaurantküche gewesen. Die Stimmung faszinierte ihn. Knapp erteilte Befehle. Höchste Konzentration. Geschäftigkeit.

Oben war es einsam. Vier Abende die Woche bewegte er sich in seinem Glashaus wie ein seltener Fisch im Aquarium, bewundert und bestaunt von aussen. Er kannte sie alle. Die jungen Rock – Gören, die nach Dienstschluss am Mitarbeiterausgang auf ihn warteten, die gepflegten Damen, die ihm durch das Servierpersonal parfümierte Karten zusteckten, darauf die Telefonnummer ihres Chauffeurs. Anfangs hatte er abgelehnt, doch er verlor die Kraft, Ausreden zu erfinden, ging mit, in die nächste Lounge, auf ein paar Gin Cocktails oder Grey Gooses on the rocks, und am Morgen wachte er in fremden Betten auf, schlanke Arme und Beine an ihn geschmiegt, aber kalt.

Kurz vor Ladenöffnung, als die Assistentin die Requisiten ordnete wie vor einer Fernsehshow, legte er seine Hände gegen die Wand aus Glas, sein Atem beschlug die makellose Scheibe. Er liess seinen Blick über die elegante Einrichtung schweifen, gedämpfte Musik klang zu ihm herein, während die anderen seines Schwarmes sich in Position brachten, letzte Kontrollblicke in die Spiegelfliesen warfen, blütenweisse Schürzen glattstrichen, Lippenstifte nachzogen. Er erinnerte sich an einen Abend zuvor, als er mit Albert und den anderen Köchen, den echten Köchen, noch ein Bier getrunken hatte, in der Beiz um die Ecke, wo der Zigarettenmief nicht den durchdringenden Geruch von abgestandenem Fett und Schweiss überdecken konnte, man über die Arbeit redete und das Leben. Das harte, komplizierte, wunderbare Leben.

Die ersten Gäste wurden an ihre Plätze geführt, ihre Gesichter flimmerten erschöpft im bläulichen Licht. Er griff nach dem Ei, das in seiner Brusttasche lag, hob es hoch. Mit einem leisen Knacken zersprang es an der Scheibe.

Ihm schien es, als würde die Sonne explodieren.

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immer am sonntag

die tage sind lang
sehr lang
dauern
von nacht
bis nacht
bis nacht
immer lächeln
gelingt mir
nicht

die menschen
die kommen
sind seltsam

oft

viele kennen mich
sagen
ah sie zu sehn
wie ein sonnenstrahl

ich denke nicht darüber nach

ich gebe kaffee und kuchen
manchmal brot
öfter nichts
dann hör ich nur zu

dann schließ ich die augen
und höre zu

elli kommt immer
sie trägt ein gelbes stirnband
über die ohren rutscht es
drückt die frisur in den himmel

sie bringt eigene
papiersackerl mit
und sagt
man spart wo man kann
spart man
jaja
und ihre stimme
rutscht in den himmel
wie ihre frisur
jaja
so ein hübsches kind
jaja

der sonntag und ich
eine zweckgemeinschaft
geliebt und gehaßt
der sonntag haßt mich
das gefühl hab ich manchmal
er liebt mich auch
seltener
liebt er mich

wenn ich aufpasse
erkenne ich die menschen
wie sie auf und ab laufen
wie sie unsicher sind
wie sie nach ihrem geld suchen
wie sie nicht den unterschied kennen
zwischen cappuccino und melange

ich erkläre
ruhig
mit tiefer stimme

die frau
die alle preise wissen will
jeden einzelnen preis
dazwischen immer aha! sagt
mit dem finger
in die vitrine zeigt
und das? fragt
aha
und DAS?
ich erkläre
(ruhig
mit tiefer stimme)
dann
trinkt sie eine flasche bier
jedesmal
dieselbe
prozedur

sie trinkt bier und schaut grimmig
so grimmig
nur einmal
da hat sie gelächelt
als ich zu singen begann
in meinem leeren laden
nur sie und ich waren da
und das gebäck
und da sang ich
das heideröslein für sie
und da hat sie gelächelt
was grotesk wirkte
die linien um ihren mund
die harten linien
die sträubten sich
die wehrten sich
und als sie es bemerkte
da sagte sie
halt dein maul

und ich sang weiter
unbekümmert
bis sie ging.

© 2002 Lisa-Maria Lienbacher

Kellergedichte

lyrik aus dem dunklen keller I

scheint keinen platz
zu geben neben der säule
im innren vibriert sie still
und heimlich will sie ja
zerbrechen will und kann
nur nicht aus ihrer
haut aus glas
aus glattem glas.

 

lyrik aus dem dunklen keller II

im auftrag welches herrn
kassandra
meine seele
spielst du die
späherin
erhebst die stimme bebend
und gewichtig zeigst du
mir den rechten pfad?

vergebens sind die mühen
bäum dich nicht
auf sollst embryonengleich
verharren nein noch
kleiner leiser so
schweig still ja nicht
einmal dein herzschlag
darf noch sein du
seelchen wirst zum vakuum
es hört dich
niemand flüstern atmen
psch psch
liebes
gutes kind

© 2002 Lisa-Maria Lienbacher

im auge

I.

der zeitpunkt wahllos
an die andersartigkeit gerieben
schwankt der druck ein ausbruch
plötzlich einbezogen alles
wie gewichtlos mitgerissen ohne
selbst zu atmen füllen sich die
lungen dennoch träge widerständig
ein zuviel ist nicht genügend haltung
gibt es nicht mehr dehnung in
zu runden kreisen vorgesorgt
die töne auf der zunge
festgesetzt doch eh der mund
sich öffnet geht der schrei verloren

II.

sie aus mir gerissen jetzt
zwei silben nur bedrängen
fäden in mir rachenwärts
gerichtet eine reise nein
ein schritt aus mir die
lautheit nebensächlich
arme seitwärts an die linien
gelegt die einst gezeichnet waren
heute nur verwaschen von den
trüben blicken rot ummantelt wirble
ich elliptisch fasse nichts du
hilfst nicht weiter hand ich
wünsche mir ein fremdes
herz das ja sagt

III.

beizeiten neu:
entwicklung fange mich in momentaner
stille bevor die wieder
kreiselung bekannte luft mir in die
öffnungen der hülle drückt wie friedensreiche
hummeln: ausschwarm einzelner fragmente
zwanghaft weiterwerdend unentschlossen
einen ausweg suchend: kaum zu
fassen wieder in ein zentrum tauchen dort
sich sammeln und das innen
wie das außen machen wo die alt:
entwicklung früher war

IV.

in der ahnung: keinerlei
beachtung folgenschwerer schritte
die nicht selbständig mich führen:
gibt es doch den pol genannt das
auge meisterlich verborgen aber
greifbar dennoch nie in solchen
wirbeln umgekommen in der
ehrlichkeit mit roten fäden
festgedacht und eins geworden wie
die puppe hölzern tanzend mit
der hand des fremden was führt
mich in stillere gewinde?

V.

betäubt durch ein
gewissenhaftes später pläne
sickern sehen unbegründet
schattenbilder wiegen
die nie auf meiner seite
neigung nehmen unversucht
gelassen alles greifbar
nahe kaum gesichtet in
den umkreis mitgegeben bald
verschlungen selbstauflösung stück
für stückchen aufgenebelt denn so
willst du es in definierten
winkeln mit geraden summen
hallt sie lautlos wider.

© 2003 Lisa-Maria Lienbacher