Text von Veronika

Späte Rache

Es war zwölf Uhr dreißig. Im Boltzmanngymnasium waren fast alle Lehrkräfte bei einer Dienststellenversammlung im Konferenzzimmer. Nur drei Professoren hatten den Unterricht der, wie es für sie schien, langatmigen und nervenden Diskussion vorgezogen. So klangen durch das leere Schulhaus nur Klaviermusik, das Brodeln von chemischen Experimenten und Piepsgeräusche von Computern. Plötzlich zerriss diese Beinahstille Sirenengeheul. Gleich darauf strömten die noch anwesenden Schüler in Zweierreihen den Fluchtwegen entlang ins Freie.
Auch die Lehrer drängten sofort, allerdings wesentlich undisziplinierter als ihre Schüler, zu den Türen. Als Sie öffnen wollten, mussten sie feststellen, dass beide zugesperrt waren. Fast gleichzeitig kramten alle ihre Schlüssel hervor, um sie den Kollegen an den Ausgängen zu reichen. Die konnten infolge der Drängerei nur mit Mühe die Schlüssel in die Schlösser stecken. Was war das? Die Bärte ließen sich keinen Millimeter bewegen. Hektik verbreitete sich.
„Lass mich probieren!“
„Geh was für ein Schwächling bist du?“
„Hast den falschen Schlüssel erwischt!“
„Nimm meinen, der sperrt sicher.“
Noch lag Spott in ihren Stimmen, denn sie glaubten an einen Übungsalarm. Da knackte es im Lautsprecher und aufgeregt stammelnd erklang die Stimme der neuen Sekretärin: „Es war ein Anruf. Eine Bombe…“
Betretenes Schweigen, dann fieberhaftes Rütteln an den Klinken. Weitere Schlüssel wurden ausprobiert. Vergeblich. Ein junger Physiker brüllte: „Seid ruhig! Ich rufe den Schulwart an!“ Triumphierend holt er sein Handy hervor und wählte die eingespeicherte Nummer. Aber gerade als sich Herr Wachter meldete, war die Batterie leer.
„Nimm meines!“, erbot sich eine Botanikerin.
„Hast du seine Nummer drinnen?“
„Leider nein!“
„Ruf das Sekretariat an!“, meinte darauf eine Anglistin.
„Da meldet sich niemand.“
Während sich die Diskussion , wohin telefoniert werden sollte zuspitzte, krachte und rumpelte es auf einmal. Ein Schauder ergriff die Lehrerschaft. Ihre Gesichter wurden starr und fast genauso weiß, wie das der Kollegin, die das Gepolter verursacht hatte, als sie in Ohnmacht gefallen war. Ein Mathematiker reagierte als Erster: „Ich mache ein Fenster auf, damit frische Luft hereinkommt.“ Schon hatte er die Hand am Riegel, riss daran nach allen Richtungen. Fast panisch probierte er es beim Nächsten, Übernächsten… Kein einziger ließ sich drehen.
„Ich rufe die Rettung an“, erbot sich endlich die Botanikerin. Noch während sie telefonierte, erklang das Horn eines Polizeiautos. Unmittelbar begannen alle wie verrückt an Fenster und Türen zu trommeln und überhörten beinahe die gehässige Durchsage: „Die Bombe liegt zwischen euch!“
Die Panik erreichte ihren Höhepunkt.

Oberinspektor Heger, ein fescher, sportlicher Vierziger, eilte zum zentralen Meldepunkt. Zu seinem Erstaunen fand er dort keine Menschenseele. Am gegenüberliegenden Zaun des Sportplatzes standen verstreut die Schüler von drei Klassen, deren Lehrer auf ihn zueilten. „Die Klassen sind vollzählig. Dürfen die Schüler wieder zurück in ihre Arbeitsräume?“
„Nein auf keinen Fall, es gab eine Bombendrohung. Bleiben Sie mit den Schülern bis auf weiteres hier!“ Damit eilte Heger ins Gebäude und wurde beim Eingang fast umgerannt, denn seine Kollegen hatten inzwischen die Eingeschlossenen befreit.
Mit äußerst angespannten Nerven durchforsteten die Polizisten nun das Haus. Jedes ungewöhnliche Geräusch brachte sie in Alarmbereitschaft. Als zwei der Beamten gerade an die Tür des Musiksaales kamen, trauten sie ihren Ohren nicht: „Tick, tack,tick,tack…“ „Das ist die Zeitschaltuhr.“ flüsterte einer, drückte bebend die Klinke nieder und lugte vorsichtig in den Raum. Am Klavier stand ein eifrig tickendes Metronom. Die Männer tauschten erleichtert ihre Blicke aus und die Spannung löste sich durch schallendes Gelächter.
Heger inspizierte zur gleichen Zeit den Keller. Verschwand da nicht gerade ein Punk zwischen den Spinds?
„Warte Bursche, dich krieg´ ich!“
Er hatte es nicht schwer ihn zu stellen. Die Spindreihen bildeten Sackgassen.
„Was machst du da?“
Der Punk fuhr erschrocken hoch und stotterte: „Iich wowollte meiein Häandy holen, aaber iich fifinde es nicht.“
„Vielleicht finden wir es, meinte Heger ironisch.
„Name, Adresse!“
Kaum hatte Häger den Jungen perlustriert und zu seiner Klasse zurückgeschickt, hörte er im Weitergehen eigenartiges Knacken aus einem Computersaal. Beim ersten Blick in den Raum konnte er nur Monitore sehen. Instinktiv spähte er unter die Bänke und entdeckte in der rückwärtigen Ecke eine besockte Fußspitze neben einem Rechnergehäuse.
„He, du da hinten! Willst du in die Luft fliegen?“
Zaghaft tauchte ein verstrubbelter Kopf eines Elfjährigen auf.
„Ich habe geglaubt, dass das eine Übung ist . Der Professor hat nicht bemerkt, dass ich mich nicht angestellt habe.“
„Jetzt aber raus mit dir!“
Hegers Kollegen waren mittlerweile im naturwissenschaft-lichen Trakt angelangt. Dort stank es bestialisch und unter der Chemiesaaltür drang oranger Rauch heraus. „Sollte nicht schon längst die Feuerwehr da sein?“, fiel dem einen ein.
„Schei…, ich habe vergessen weiterzumelden. Der Chef wird mir den Kopf abreissen.“
Jenem war ebenfalls gerade ihr Fehlen aufgefallen und er war dabei, sein Funkgerät einzuschalten, während er wahrnahm, dass die Tür zum Sekretariat sachte zugemacht wurde. Vorsichtig, die Pistole im Anschlag stieß er sie auf. Am Schreibtisch stand die Sekretärin und schob eiligst eine Lade zu. Ihr betretener Blick blieb an Hegers Gesicht hängen und wechselte zu Erstaunen und Erkennen.
„Wolfgang?“
„Leonie? Was machst du noch herinnen? Bist du lebensmüde? Geh schleunigst zur Sammelstelle, wir reden später miteinander!“
Wolfgang Heger dachte zurück an seine Schulzeit hier in diesem Haus. Leonie Höller war das Enfant terrible der Klasse gewesen und hatte die Lehrer auf die Palme gebracht. Sie hatte allerdings stets behauptet, von ihnen benachteiligt zu werden und daher in der vierten Klasse die Schule gewechselt. Er wunderte sich also sehr, sie hier im Schuldienst zu finden, verdrängte aber den Gedanken, um sich wieder auf die Untersuchungen zu konzentrieren und die Feuerwehr einzuweisen, die endlich eingetroffen war. Sogleich drang ein Mann mit schwerem Atemschutz ausgerüstet in den Chemiesaal ein um festzustellen, dass das Inferno einer kleinen Porzellan-schale entströmt , aber die Reaktion bereits erloschen war.
Die Suche nach einer Bombe blieb ergebnislos.

Für Heger war es augenscheinlich, dass ein rachsüchtiger Schüler den Lehrern Angst einjagen wollte. Dafür sprachen die blockierten Fenster und Türen des Konferenzzimmers. Er fragte sich nur, wie ein Schüler vor der Versammlung in den Raum kommen und ungesehen die Fenster manipulieren konnte. Danach in die Schlösser Superkleber zu spritzen, dürfte kein Problem gewesen sein. Fraglich war nur, war es ein Schüler der drei noch anwesenden Klassen?
Unvermittelt kam ihm eine Idee und er eilte zum Schreibtisch ins Sekretariat, zog die Lade auf und tatsächlich lag da ein Handy mit genau der Marke und dem Typ, wie es der Punk im Keller beschrieben hatte. Heger hüllte es in ein Plastiksäckchen, steckte es ein und begab sich zur Sammelstelle.
„Das Haus ist clean, ihr könnt eure Sachen holen!“
Dann legte er seine Hand auf Leonie Höllers Schulter: „Treffen wir uns morgen im Cafe, um von alten Zeiten zu reden?“
Als Leonie zum Treffen kam, wunderte sie sich, dass Wolfgang neben dem buntesten Punk der Schule saß. Noch bevor sie bestellen konnte, sah sie Wolfgang ernsthaft an: „Kennst du dieses Mobiltelefon? Deine Fingerabdrücke sind genau auf den Tasten der Rufnummer der Schule. Leonie, Du warst die anonyme Anruferin. Es tut mir Leid, ich muss dich verhaften. “
Leonie Höllers Augen glitzerten: „Endlich hab ich es diesen Tyrannen heimzahlen können!“
Heger legte das Gerät vor dem Punk auf den Tisch: „Habe ich dir nicht versprochen, es zu finden?“

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