Zehn Minuten -Schauspiel nach
klassischem Vorbild
Vorgeschichte:
Dieses Stück wurde von mir für den „10 – Minuten Hamlet“ Wettbewerb des Grazer „Theater im Bahnhof“ im März 2000 geschrieben. Vorgabe war, den klassischen Hamletstoff in einer beliebigen Form in zehn Minuten zu präsentieren. Aufgeführt habe ich das Stück dann selbst und zwar allein: Nachdem ich den Text auf Kassette gesprochen hatte habe ich alle sechs Rollen gespielt und dabei versucht mich in der Interpretation meiner Darstellung an den übertriebenen Gesten der frühen Stummfilmschauspieler zu orientieren. Vor allem bei der Fechtszene mußte ich sämtliche Schubladen meines beschränkten schauspielerischen Talents ziehen, hatte aber zumindest die Lacher auf meiner Seite und wurde am Ende Zweiter der Jurywertung.
Personen:
Josef Prinz (von allen seit seiner Kindheit nur „Hamlet“ genannt)
Klaus, sein Onkel
Pole, der Geschäftsführer
Lars, Sohn des Polen
Ophelia, seine Schwester
Trude, Josefs Mutter
Ort:
Die Küche einer Raststation an der Autobahn Helsingör / Kopenhagen. Josef Prinz, der Sohn des unlängst verstorbenen Besitzers bei der Arbeit. Er arbeitet als Koch in der Raststation, die inzwischen von seinem Onkel Klaus geführt wird. Zusätzliche Pikanterie erhält die Situation durch die Tatsache, daß dieser Onkel Josefs Mutter, also die Witwe seines eigenen Bruders, nur wenige Monate nach dem Tod ihres Mannes geheiratet hat.
Einziger Aufzug:
Josef zerkleinert mit einem Metzgerbeil einen Berg Hammelfleisch um daraus Hammelfleischlaibchen zu machen. Das im Hintergrund laufende Radio bringt eine Verkehrsmeldung:
Radio: „Achtung, Achtung! Auf der Autobahn Helsingör / Kopenhagen kommt ihnen ein Geisterfahrer entgegen. Bitte bleiben sie rechts und überholen sie nicht.“
Josef: „Immer diese verdammten Geisterfahrer! Noch nicht einmal ein halbes Jahr ist es her, daß mein eigener Vater von so einem Wahnsinnigen von der Straße gedrängt worden ist. Zwei Stunden haben sie gebraucht, um seine Leiche aus dem Wrack zu schneiden. Das war kein schöner Anblick: Die Antenne hatte sich mitten durch sein Ohr gebohrt. Aber den Geisterfahrer haben sie nicht erwischt.“
Er schlägt mit dem Beil energisch auf das Stück Fleisch ein.
Josef: „Aber das Leben geht ja weiter. Nicht war Mama? Aber warum ausgerechnet meinen Onkel? Die schnellsten Entscheidungen müssen eben nicht immer die besten sein. Diesen versoffen Kerl mußte sie heiraten. – Der fährt schon seit Jahren ohne Führerschein durch die Gegend, den hätte es ruhig erwischen können, nicht meinen Vater. Der hätte er verdient. – Ach, was soll’s.“
Er hackt weiter.
Josef: „Ich versteh ja, daß sie nicht ewig allein bleiben konnte. Wer will das schon? Aber Onkel Klaus? Wenn er wenigstens ein bißchen mehr Ähnlichkeit mit meinem Vater hätte, dann verstünde man vielleicht warum. Aber so? – Wie hat er vor der Hochzeit so schön gemeint?“ (verächtlich) „Ich hoffe, daß sich dadurch nichts ändert zwischen uns Hamlet.“ (gespielt zuckersüß) „Aber natürlich nicht ‘Onkter’, oder sollte ich besser sagen ‘Vankel’?“ (wie vorher) „Pah! Auf einmal spielt er sich hier auf wie der große Macher. Veranstaltet einen Riesen Empfang für die Rosenstern & Güldenkranz Versicherung und ich kann hier unten Hammelburger machen, bis ich schwarz bin. Weil er nämlich keine Ahnung davon hat. Dabei sind die Hammelburger unsere Spezialität. Aber die hat natürlich mein Vater erfunden – darum war er auch der Burger-King. Nur der Name, der ist von mir. Da war ich drei oder vier damals und soll gebrabbelt haben: ‘Mmmhm! Hamletbörger!’ Und was soll ich sagen, der Name ist bis heute geblieben: ‘Hamletburger’ , steht sogar auf der Speisekarte – und zu mir sagt jeder Hamlet. Na ja. Das werd’ ich wohl nie mehr los.“
(Auftritt Onkel Klaus)
Klaus: „Alles klar Hamlet?“
Josef: (mürrisch) „Danke der Nachfrage.“
Klaus: „Gut, mein Junge. Du weißt: Der heutige Abend ist sehr wichtig für uns, vielleicht können wir dann öfter solche Empfänge veranstalten.“
Radio: „Achtung! Wir wiederholen die Geisterfahrermeldung: Zwischen Helsingör und Kopenhagen kommt ihnen auf der D1 noch immer ein Auto entgegen. Bitte fahren sie weiterhin vorsichtig.“
Klaus schließt die Augen, wird ganz blaß, kommt leicht ins Schwanken und muß sich mit der Hand an Josefs Arbeitsplatte abstützen.
Josef: „Was ist denn los?“
Klaus: „Ni – nichts. Ich mußte nur gerade an deinen armen Vater denken.“
Josef: „Dann ist es allerdings nicht erstaunlich, daß dir schlecht wird.“
Klaus: (Gewinnt seine Fassung wieder) „Wie meinst du das?“
Josef: „Das weißt du doch genau.“
Klaus: „Aber Hamlet. Das haben wir dir doch schon tausendmal erklärt, deine Mutter und ich. Schau, wir … ach, ich bin heute nicht in der Verfassung, mit dir zu streiten.“ (geht schnell ab)
Josef: „Da geht er dahin. Ist es nicht unglaublich, wie er auf jetzt auf Mitleid macht?“
(hackt gedankenverloren auf den Hammel ein)
Josef: (nachdenklich) „War aber schon komisch, wie er eben reagiert hat. .. Sehr komisch sogar. Fast ein bißchen schuldig. …Hm!“
Er hört zu arbeiten auf und tritt mit dem Beil in der Hand vor den Tisch.
Josef: „Kann es sein, oder kann es nicht sein? Ist er nicht an jenem Abend gerade aus seinem Auto gewankt, als ich das Haus verließ? Und war das nicht kurz nach dem Unfall meines Vaters. Nur wenige Minuten später sogar? So viele Minuten etwa, wie man von der Unfallstelle zu unserem Haus braucht? Und hat er da nicht genau so blaß ausgesehen?“ (schreit auf) „Es ist doch so klar! Natürlich! Oh, dieser verdammte Saufkopf! Dieser Verbrecher dieser .. Mörder!“
(Auftritt des Polen)
Pole: „Hallo Hamlet!“
Josef: (fährt herum und hebt sein Beil, während er brüllt) „Wer?“ (läßt das Beil sinken als er den Polen erkennt) „Ach.“
Pole: „Uh! Du hast aber miese Laune. Hast dich wohl wieder mit meiner Tochter gestritten, was?“
Josef: „Wie? Äh, … Ja, wahrscheinlich.“
Pole: „Jaja, das hat sie von ihrer Mutter. Mach dir nichts d’raus. Wollte sowieso nur schnell schauen, wie weit du schon bist. – Na ja. Ein bißchen Beeilung könnte nicht schaden, die Gäste kommen schon bald. Paß auf, daß das Fett nicht zu heiß wird.“
Josef: (mit den Gedanken ganz woanders) „Wie? – Ja, gut.“
(Pole geht ab, Josef wieder alleine.)
Josef: „Es ist unglaublich. Mein Onkel, der eigene Bruder. Und steht dann daneben, mit Tränen in den Augen – und meine Mutter! Oh diese verdammte Brut, wenn ich die zwischen die Finger kriege, dann mache ich was anderes aus denen als Hammelburger.“
(Starrt gebannt auf das Beil in seiner Hand, würde es gerne irgendwo hinwerfen, weiß aber nicht wohin.)
männliche Stimme: „Hamlet?“
(Josef fährt herum, und schleudert sein Beil in Richtung der Stimme)
Josef: „Du Brudermörder!“
(Das Beil trifft den gerade durch die Tür tretenden Polen am Kopf und spaltet ihm die Stirn. Der Pole sinkt leblos zu Boden. Josef erkennt seinen Fehler und stürzt auf den Sterbenden zu.)
Josef: „Pole! Oh, nein!“
(Auftritt Lars)
Lars: „Vater! – Was hast du getan Hamlet?“
Josef: „Es war ein schrecklicher Unfall.“
Lars: (Indem er nach dem Beil im Kopf seines Vaters greift) „Du Mörder!“
(Lars nimmt das Beil an sich und will sich damit auf Josef stürzen)
Josef: „Lars! Bitte beruhige dich!“
(Josef weicht zurück und nimmt dabei ein langes Messer vom Tisch.)
Josef: „Lars, laß mich doch erklären!“
(Lars stürmt auf Josef zu, ein Kampf entbrennt. Josef versucht sich zunächst nur zu verteidigen, doch nach den ersten Verletzungen stößt auch er auf Lars ein.)
(Auftritt Ophelia)
Ophelia: „Lars! – Hamlet! – Was ist los mit euch? – Vater? Vater!“ (hysterisch schreiend) „Vater!!!“ (Sie wirft sich über die Leiche, während sich die zwei Streitenden bereits blutüberströmt am Boden wälzen)
(Auftritt Trude, Klaus.)
Klaus: „Was wird hier gespielt?“
Trude: „Hamlet!“
(Josef und Lars stehen einander gegenüber. Lars bricht, mit Josefs Messer in der Brust, sterbend zusammen.)
Lars: „Aaaah!“
(Josef betrachtet die Tiefe Wunde, die Lars Beil hinterlassen hat und stirbt dann ebenfalls)
Josef: „Verdammte Scheiße! Und der Rest ist Schweigen.“
Trude: „Hamlet! Mein Sohn!“
(Das von Hamlet zu lange unbeaufsichtigt gelassene Fett in der auf Höchststufe laufenden Friteuse entzündet sich mit einem lauten Knall. Eine Feuerkugel erfüllt den Raum und tötet alle noch lebenden Anwesenden.)
Das Restaurant wird – mangels lebender Erben – von einer norwegischen Kette aufgekauft.
Ende
Man beachte die ungewollte Doppeldeutigkeit des Dialogs: „Was wird hier gespielt?“ – „Hamlet!“
© Peter Heissenberger