Beschreibe dich selbst in einem Satz.
Seit Neuestem ist mir ständig schlecht.
So ist das.
Vielleicht solltest du zum Arzt gehen.
Vielleicht sollte ich mir gleich die Eingeweide entfernen lassen und mein Hirn und das Herz und die Seele.
Die Seele? Hast du eine Seele?
Ich kaue an meinem Bleistift. Ich weigere mich, über diese Frage nachzudenken.
Du weißt, daß die Seele die Hülle des Körpers ist. Das weisst du, oder?
Ich schreibe WO HAST DU DAS DENN HER?
vielleicht war ich in irland
vielleicht stand dieser satz in einem buch
im museum der modernen künste
vielleicht hab ich diesen satz zu photographieren versucht
um dann von einer der aufseherinnen höflich ermahnt zu werden
it´s not allowed to take pictures here
vielleicht hat einer mich getröstet
du brauchst ja gar kein photo mehr
vielleicht hab ich einfach nur geträumt
…
Die Seele ist die Hülle des Körpers.
Im Inneren dieser membrandünnen Hülle rumort das Leben vor einem Abgrund.
Ein Mensch mit Höhenangst.
Das bin ich.
Vielleicht daher die Übelkeit.
Wenn du einen Tag die Welt regieren könntest…?
Was wäre dann…?
Ich frage dich.
Ich muß darauf nicht antworten.
Du solltest aber.
Wenn ich einen Tag die Welt regieren könnte,
ich würde den Menschen erlauben,
einen Tag in ihrem Leben auszulöschen.
Einen einzigen Tag.
Glaubst du, ein Tag kann ein Leben retten?
Ein Tag kann das. Eine Sekunde. Ein Augenblick.
Wie würden die Menschen reagieren? Auf die Chance, ihr Leben zu retten?
Die Menschen würden beginnen, nachzudenken.
Sie würden Listen anlegen, alte Kalender hervorkramen, vollgeschriebene Tagebücher.
Sie würden herausfinden wollen, ab wann sich alles verändert hat.
Alles anders geworden ist.
Geblieben ist.
Sie würden Angst kriegen vor ihrer Entscheidung.
Vor der Verantwortung, den einen Tag zu finden.
Sie würden nichts tun.
Vielleicht würde der Druck in ihnen auch so groß werden,
daß ihnen nichts anderes übrig bliebe
als gegen eine Wand zu laufen
wieder und wieder.
Aber eher nicht.
Was ist das schönste Geschenk, das man dir machen kann?
Das schönste Geschenk, sagt Satir, ist es,
mich zu berühren,
mir zuzuhören,
mich anzusehn.
MICH zu sehn.
ich schenke dir eine berührung
ich höre dir zu
ich sehe dich an
ich sehe DICH
Wer sagt das?
Einer einmal.
Ich glaubte ihm.
Er sagte es mit leuchtenden Augen.
Und nun?
Ich zitiere
ich bin erstanden aus einem traum
in dem ich aß ohne zu schmecken
in dem ich las ohne zu verstehn
in dem ich schlief ohne aufzuwachen
SCHLIEF OHNE AUFZUWACHEN
…
Der Schlaf und das Lachen und die Hoffnung, sagt Kant,
sind die Dinge, die das Leben erträglich machen.
die hoffnung
ein punktförmiges gebilde
der schlaf
ein langgezogener strahl
das lachen
eine begegnung
befruchtend
leben spendend
ein immer wiederkehrendes spiel
milliarden mal passiert
energie die immer gleich bleibt
ein mandelbrotmännchen
mit ausgefransten umrissen
die niemals
gerade sind
…
Du verwirrst mich.
Du überforderst mich.
Dafür bist du da.
Also nimm es mit.
Wann warst du zum letzten Mal glücklich?
als die stille in mir schlief
denn als sie erwachte
und ihre fäden in mich spannte
wie eine spinne ein netz
da blieb etwas in mir hängen
das mir den bauch wölbte
das die übelkeit mir
zum begleiter machte
zum einzigen begleiter nämlich
denn sie überforderte den
der mich ansah
mir zuhörte
und mich berührte
und der dann fortging
und mich allein ließ
mit einem veränderten körper
und einer beweglichen stille
die sich selbst gern liebe nennt
wenn ihr danach ist
…
Vielleicht solltest du zum Arzt gehen.
Ich glaube, dafür ist es zu spät.
© 2002 Lisa-Maria Lienbacher