Vier Fragen

Beschreibe dich selbst in einem Satz.

Seit Neuestem ist mir ständig schlecht.

So ist das.

Vielleicht solltest du zum Arzt gehen.

Vielleicht sollte ich mir gleich die Eingeweide entfernen lassen und mein Hirn und das Herz und die Seele.

Die Seele? Hast du eine Seele?
Ich kaue an meinem Bleistift. Ich weigere mich, über diese Frage nachzudenken.

Du weißt, daß die Seele die Hülle des Körpers ist. Das weisst du, oder?

Ich schreibe WO HAST DU DAS DENN HER?

 

vielleicht war ich in irland

vielleicht stand dieser satz in einem buch

im museum der modernen künste

vielleicht hab ich diesen satz zu photographieren versucht

um dann von einer der aufseherinnen höflich ermahnt zu werden

it´s not allowed to take pictures here

vielleicht hat einer mich getröstet

du brauchst ja gar kein photo mehr

 

vielleicht hab ich einfach nur geträumt

Die Seele ist die Hülle des Körpers.

Im Inneren dieser membrandünnen Hülle rumort das Leben vor einem Abgrund.

Ein Mensch mit Höhenangst.

Das bin ich.

Vielleicht daher die Übelkeit.

 

Wenn du einen Tag die Welt regieren könntest…?

Was wäre dann…?

Ich frage dich.

Ich muß darauf nicht antworten.

Du solltest aber.

Wenn ich einen Tag die Welt regieren könnte,

ich würde den Menschen erlauben,

einen Tag in ihrem Leben auszulöschen.

Einen einzigen Tag.

Glaubst du, ein Tag kann ein Leben retten?

Ein Tag kann das. Eine Sekunde. Ein Augenblick.

Wie würden die Menschen reagieren? Auf die Chance, ihr Leben zu retten?

Die Menschen würden beginnen, nachzudenken.

Sie würden Listen anlegen, alte Kalender hervorkramen, vollgeschriebene Tagebücher.

Sie würden herausfinden wollen, ab wann sich alles verändert hat.

Alles anders geworden ist.

Geblieben ist.

Sie würden Angst kriegen vor ihrer Entscheidung.

Vor der Verantwortung, den einen Tag zu finden.

Sie würden nichts tun.

Vielleicht würde der Druck in ihnen auch so groß werden,

daß ihnen nichts anderes übrig bliebe

als gegen eine Wand zu laufen

wieder und wieder.

Aber eher nicht.

 

Was ist das schönste Geschenk, das man dir machen kann?

Das schönste Geschenk, sagt Satir, ist es,

mich zu berühren,

mir zuzuhören,

mich anzusehn.

MICH zu sehn.

 

ich schenke dir eine berührung

ich höre dir zu

ich sehe dich an

ich sehe DICH

Wer sagt das?

Einer einmal.

Ich glaubte ihm.

Er sagte es mit leuchtenden Augen.

Und nun?

Ich zitiere

 

ich bin erstanden aus einem traum

in dem ich aß ohne zu schmecken

in dem ich las ohne zu verstehn

in dem ich schlief ohne aufzuwachen

 

SCHLIEF OHNE AUFZUWACHEN

Der Schlaf und das Lachen und die Hoffnung, sagt Kant,

sind die Dinge, die das Leben erträglich machen.

 

die hoffnung

ein punktförmiges gebilde

der schlaf

ein langgezogener strahl

 das lachen

eine begegnung

befruchtend

leben spendend

 ein immer wiederkehrendes spiel

 milliarden mal passiert

 energie die immer gleich bleibt

 ein mandelbrotmännchen

mit ausgefransten umrissen

die niemals

gerade sind

Du verwirrst mich.

Du überforderst mich.

Dafür bist du da.

Also nimm es mit.

 

Wann warst du zum letzten Mal glücklich?

 

 als die stille in mir schlief

 denn  als sie erwachte

und ihre fäden in mich spannte

wie eine spinne ein netz

da blieb etwas in mir hängen

das mir den bauch wölbte

das die übelkeit mir

zum begleiter machte

zum einzigen begleiter nämlich

denn sie überforderte den

der mich ansah

mir zuhörte

und mich berührte

und der dann fortging

und mich allein ließ

mit einem veränderten körper

und einer beweglichen stille

die sich selbst gern liebe nennt

wenn ihr danach ist

Vielleicht solltest du zum Arzt gehen.

Ich glaube, dafür ist es zu spät.

 

© 2002 Lisa-Maria Lienbacher

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