„RAUBTIERWALZER“ – Der neue Roman von Thomas Wollinger

Ein junger, höflicher Mann steht am Beginn seiner Entwicklung zum Serienmörder. Im eleganten Wien des Jahres 1986, wo Walzer und vornehme Umgangsformen das äußere Ambiente prägen, entdeckt Georg seine unerwartete Leidenschaft für den Gesellschaftstanz. Die große Liebe seines Lebens, Beatrice, lässt seinen Traum eines normalen, geregelten Lebens zum Greifen nah erscheinen. Georgs Sensibilität, seine verzweifelte Hingabe zu Beatrice, sein Wunsch nach einem harmonischen Familienleben und einem gut bezahlten Job stehen jedoch im krassen Gegensatz zu den Morden und dem völligen Fehlen von Reue.

Den neuen Roman von Thomas Wollinger kann man sich als E-Book für den Kindle herunterladen.
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Das Interview, das in unserer 100. Sendung ausgestrahlt wurde, kann man hier nachhören:

Miaz und Luis

von Veronika Unger

Ich bin eben hingegangen, weil es Nachbarpflicht ist. Die Miaz hatte ich schon über zehn Jahre nicht mehr gesehen, nun war sie im Pflegeheim gestorben. Über neunzig ist sie geworden. Ein schönes Alter!  Während der Totenmesse wandern meine Gedanken zu alltäglichen Dingen und Sorgen. Von der letzten Bank aus beobachte ich ungestört die Trauergemeinde. Keine tief gebeugten Häupter vor mir, auch nicht in der ersten Reihe. Man ist halt dabei, weil es sich gehört.

Auf dem Weg von der Kirche zum Friedhof hinauf, murmeln nur wenige den Rosenkranz mit. „Ah, servas, siacht ma di a amol!“ höre ich öfter als das „Gegrüßet seist du Maria“. „Miaz und Luis“ weiterlesen

Eines zuviel 

von Isolde Kerstin Bermann 

So wirklich gesagt haben sie es uns nicht. Weil: sie denken: zu klein. Zu dumm. Zu nah dran. Wir aber wissen es ohnehin. Man sieht es doch. Ihr Gesicht ohne Farben, ihre Stimme so mager. Hände, die nichts festhalten können. Wir fragen nicht. Du fragst nicht, weil: du wirklich noch sehr klein bist. Aber deine Blaukugelrundaugen sind jetzt noch runder. Du isst zuviel Karotten und Paprika. Ich frage nicht, weil: ich keine Antworten will. Keine Sätze, die sich um das Unaussprechliche winden wie bunte Papiergirlanden. Wie Ketten aus rosa Traubenzucker. Die dann aber abfallen, sobald ihr euch umgedreht habt. 

Nichts warnt euch, als wir in den Wald gehen wie Hänsel und Gretel. Weil wir keine Brotkrumen hinterlassen wollen, damit wir gefunden werden. „Eines zuviel „ weiterlesen

Ein kollektives Frohes Fest!

All unseren Mitgliedern, Fans und Freunden, mit einer kleinen weihnachtlichen Geschichte!

Ein Familienfest

von Peter Heissenberger

Tief im Wald hinter einem hohen Gebirge liegt ein verborgenes Tal. Hier lebt ein Tier, das heute niemand mehr kennt. Und das ist wirklich schade, denn es gibt dieses Tier schon seit Anbeginn der Menschheit, nur scheinen wir es über die Jahre vergessen zu haben.
Dieses Tier ist das Geheuer. „Ein kollektives Frohes Fest!“ weiterlesen

Porto Bello Girls: Erstes Kapitel

Peter Heissenberger

Mitte der Zweitausendnuller Jahre, irgendwo im Süden Österreichs:

Samstag

(1)

An der Kreuzung zweier leidlich dicht befahrener Innenstadtstraßen liegt ein Park der so klein ist, dass er die Bezeichnung Park eigentlich kaum verdient. Ein lieblos bepflanztes Blumenbeet, von brüchigem Beton gerade einmal notdürftig umrahmt. Ein sternförmiger Kiesweg und insgesamt vier grüne Plastikbänke. – Um es mit einem treffenderen Wort zu sagen: Ein Hundekotmagnet.

Auf einer dieser Bänke sitzt Paul. Und das ist kein Zufall, denn es ist seine Bank, nur sie kann er vom Küchenfenster seiner Wohnung aus beobachten. Paul lächelt. So stark ihm der spätherbstliche Wind im Moment auch ins Gesicht fährt, er spürt die Kälte nicht. Zu schön sind die Gedanken an das Mädchen, das er eines Tages hier entdecken wird, wenn er seinen Blick durchs dampfende Spaghettiwasser gleiten lässt. Ein Mädchen in einem geblümten Sommerkleid und er wird sich nicht sicher sein, ob das Dampf ist, der seine Küchenfensterscheibe beschlagen hat, oder doch ihre Tränen, die er über die weite Distanz ja niemals erkennen dürfte.

„Porto Bello Girls: Erstes Kapitel“ weiterlesen

Fischtank

Lisa Maria Lienbacher

Fünf mal sieben mal drei. Ein Glasquader, grossflächige weisse Bodenfliesen, die Küchengeräte funkelten, Pfannen und Töpfe standen in polierten Edelstahlregalen. Frisches Obst und Gemüse war wie willkürlich im Raum verteilt, dreistöckige Torten, Hummer und Fleisch. Die Luft darin war zäh, trotz des Entlüftungssystems.

Sein Agent hatte ihm die Stelle vermittelt. „Diesmal kein Fotojob. Einfacher. Und besser bezahlt.“ Das Vorstellungsgespräch verlief komplikationslos. Ein neues Restaurant, kühl, cool, im Zentrum des loftähnlichen Speisesaales die Küche, die keine war, sein Platz an vier Abenden die Woche. „Schöne Menschen ziehen andere schöne Menschen an“, sagte der junge Geschäftsführer verträumt, „und genau die wollen wir hier haben.“ Die „Drecksarbeit“, wie man sich ausdrückte, fand einen Stock tiefer statt. Hier wurde gekocht. Geschwitzt.

An seinem ersten Tag wurde er nach unten geführt. Ein rotgesichtiger Koch nahm ihn in Empfang. „Ich bin der Albert. Ich zeige dir ein paar Handgriffe, damit du nicht ganz unglaubwürdig wirkst.“ Er lernte, wie man ein Messer hält, mit routinierten Bewegungen in einer Schüssel rührt, Zwiebeln klein schneidet, eine Pfanne schüttelt. „Nicht so verkrampft“, lachte Albert. „Is ja nicht so, dass dir was anbrennt.“  Nie zuvor war er in einer Restaurantküche gewesen. Die Stimmung faszinierte ihn. Knapp erteilte Befehle. Höchste Konzentration. Geschäftigkeit.

Oben war es einsam. Vier Abende die Woche bewegte er sich in seinem Glashaus wie ein seltener Fisch im Aquarium, bewundert und bestaunt von aussen. Er kannte sie alle. Die jungen Rock – Gören, die nach Dienstschluss am Mitarbeiterausgang auf ihn warteten, die gepflegten Damen, die ihm durch das Servierpersonal parfümierte Karten zusteckten, darauf die Telefonnummer ihres Chauffeurs. Anfangs hatte er abgelehnt, doch er verlor die Kraft, Ausreden zu erfinden, ging mit, in die nächste Lounge, auf ein paar Gin Cocktails oder Grey Gooses on the rocks, und am Morgen wachte er in fremden Betten auf, schlanke Arme und Beine an ihn geschmiegt, aber kalt.

Kurz vor Ladenöffnung, als die Assistentin die Requisiten ordnete wie vor einer Fernsehshow, legte er seine Hände gegen die Wand aus Glas, sein Atem beschlug die makellose Scheibe. Er liess seinen Blick über die elegante Einrichtung schweifen, gedämpfte Musik klang zu ihm herein, während die anderen seines Schwarmes sich in Position brachten, letzte Kontrollblicke in die Spiegelfliesen warfen, blütenweisse Schürzen glattstrichen, Lippenstifte nachzogen. Er erinnerte sich an einen Abend zuvor, als er mit Albert und den anderen Köchen, den echten Köchen, noch ein Bier getrunken hatte, in der Beiz um die Ecke, wo der Zigarettenmief nicht den durchdringenden Geruch von abgestandenem Fett und Schweiss überdecken konnte, man über die Arbeit redete und das Leben. Das harte, komplizierte, wunderbare Leben.

Die ersten Gäste wurden an ihre Plätze geführt, ihre Gesichter flimmerten erschöpft im bläulichen Licht. Er griff nach dem Ei, das in seiner Brusttasche lag, hob es hoch. Mit einem leisen Knacken zersprang es an der Scheibe.

Ihm schien es, als würde die Sonne explodieren.

Texte der Improshow vom 20.5.

Unter großem Applaus ging gestern Abend der erste Improabend mit TiS und BlankTon über die Bühne. Hier nun, wie versprochen, für alle zum Nachlesen die vollständigen Texte so, wie sie sich die Autoren vorgestellt haben.

Und nicht vergessen, nächste Woche, am 27.5. steigt der zweite Improabend mit neuen Texte von Grauko. 20.00, Stockwerk. Be there!

Text von Isolde
Text von Helmut
Text von Maria
Text von Peter

Über das Verschellen

Peter Heissenberger

Spuren waren für den Menschen seit jeher von extremer Bedeutung. So konnte es über Leben und Tod unserer Vorfahren entscheiden, zu wissen, ob Abdrücke im Sand von einem Säbelzahntiger oder einen Streifenhörnchen stammten. Unbekannte Fährten bedeuteten zuallererst Gefahr und mussten so schnell wie möglich abgeklärt werden. Es sind also verkümmerte prähistorische Instinkte, die sich dem modernen Menschen erhalten haben, wenn er sich in der sicheren Umgebung seines Wohnzimmers beim entspannten Lesen plötzlich fragt: „Wie mag wohl das Wort ausgesehen haben, das hier seine Spuren hinterlassen hat?“

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Er nannte sie Madonna

Helmut Zsifkovits

Er nannte sie Madonna.

Er hatte sie immer so genannt, sie wusste nicht mehr, seit wann sie den Namen hatte. Jemand war auf die Farm gekommen, unsichtbar, in der Nacht, hatte einen Zettel hinterlassen. Komm zum großen Mangobaum, am Ende der Reisfelder, wo der Pfad auf den Berg beginnt. Komm allein. Morgen, mit Einbruch der Dunkelheit.

Nun stand sie ihm gegenüber, und sie hatte entsetzliche Angst.

Du musst zahlen, Madonna, sagte er, und der Boden unter ihr gab nach und drohte sie zu verschlingen.
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Canyon Sin Nombre

Die Straße begann zu fallen. Im Grunde war es keine Straße, wir folgten den Fahrspuren einiger Geländewagen, die irgendwann hier gefahren waren. Das Asphaltband, von dem wir abgezweigt waren, war noch im Rückspiegel zu sehen, wurde schmäler und verschwand. Der Wagen holperte über Steine, wich einigen Kakteen aus, verschluckte Creosotebüsche, die ein hässlich kratzendes Geräusch auf der Bodenplatte erzeugten.

Sebastian saß am Beifahrersitz neben mir und schwieg. Als der Untergrund kurzzeitig etwas ebener wurde und meine Aufmerksamkeit sich etwas entspannen durfte, blickte ich ihn von der Seite an. Er saß nach vorne gebeugt und hielt sich am Türgriff fest. Seine Lippen waren aufeinandergepresst, seine Augen größer als sonst, geweitet von angespannter Erwartung, und gleichzeitig war da ein Leuchten. Bist du ok, fragte ich ihn. Er nickte und schwieg weiter.

Der Boden wurde wieder schwierig, ich musste nach vorne sehen. Das Gelände fiel stärker, gleichzeitig mischte sich der harte Untergrund mit Sand. In der Ferne war eine ebene Fläche zu erkennen, an deren Ende eine senkrechte Felswand, wie eine Mauer. Aber noch war der Abfall zu bewältigen. Der weiche Untergrund erzeugte wenig Geräusch, wir glitten wie auf Wasser dahin. Sebastians Atmen war zu hören. Wir rutschten nach unten, den einsamen Spuren nach, gezogen von Fahrzeugen, die für diesen Boden geeignet waren. Im Gegensatz zu unserem. Es wurde steiler, der Sand nahm zu, der Wagen rutschte, reagierte verzögert, widerstrebend auf meine Lenkmanöver. Ich konnte wenig tun, nicht stehenbleiben, nicht bremsen, nur starr nach vorne sehen und versuchen große Steine zu umschwimmen. Wir fuhren in einen Abgrund, auf einem Boden, der sich langsam nach unten neigte, zumindest schien es so. Wir fuhren in ein Loch, direkt zum Mittelpunkt der Erde, in Dürrenmatts Tunnel, jenem aus der Geschichte ohne Ende.
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Lorikeets

Ich hatte meinen Missmut mit einigen Gläsern mittelmäßigen italienischen Weins betäubt und mir selbst ausreichend Leid getan, ob meines widerlichen Schicksals. Draußen lag eine laue Sommernacht, und das Zirpen der Grillen klang durch das halb geöffnete Fenster wie höhnisches Lachen. Meine Augenlider waren schwer geworden, und der Text auf dem Blatt vor mir verschwamm. Nur der Ärger hielt mich wach. Der Ärger über mich selbst, der ich hier saß und die Aufsätze von Menschen las, die ich nicht kannte. Der Ärger über die Schreiber der Aufsätze, die mir die Zeit raubten, und die Chance, auf der Terrasse zu sitzen und guten Wein zu trinken. Der Ärger über das Geschreibsel, durch das ich mich hier quälte.
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